Transcript 2001 - 2014

Interview mit Marine Petrossian

Von Transcript Staff
Originalsprache: Englisch
Übersetzung ins Deutsche von Katrin Thomaneck
Thema: Armenien
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Interview mit der Dichterin Marine Petrossian

 

Marine Petrossian

12. Februar 2013 (Jill McCoy)

In der neuen Ausgabe von Transcript finden sich Übersetzungen der ausdrucksstarken Gedichte Marine Petrossians sowohl auf Englisch und Französisch als auch auf Deutsch. Aber die englischen Übersetzungen zeichnet etwas Besonderes aus – die Dichterin ist auch deren Übersetzerin. In einem kurzen Interview erklärt Marine Petrossian, was es bedeutet, sein eigenes Werk in eine andere Sprache zu übersetzen.

Es gibt viele Gründe, warum Schriftsteller ihre eigenen Arbeiten in eine andere Sprache übersetzen, sei es, man geht in ein anderes Land, ins Exil (freiwillig oder unfreiwillig), aus Interesse oder Leidenschaft für eine andere Sprache oder aus dem Wunsch heraus, sein Werk aus einer neuen Perspektive zu betrachten, aus Mangel an kompetenten Übersetzern oder der Lust am Experimentieren… die Liste könnte fortgeführt werden, oft kommen mehrere Gründe zusammen. Wann und warum haben Sie begonnen, Ihre eigenen Gedichte ins Englische zu übersetzen?

1995 war der Schweizer Dichter Vahé Godel in Jerewan, er rief mich an und sagte, er hätte eine Überraschung für mich. Wir trafen uns in einem Café, und er zeigte mir meinen soeben in französischer Übersetzung erschienenen Gedichtband „J’apporterai des pierres“. Godel, Sohn eines Linguisten der armenischen Sprache und einer gebürtigen Armenierin, sprach selbst recht gut Armenisch, er übersetzte armenische Lyrik, die sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich publiziert wurde. Sicher, ich freute mich über das Buch, ja, ich war so begeistert, dass ich beschloss, Französisch zu lernen, um auf Festivals und anderen literarischen Veranstaltungen mit dem Publikum kommunizieren zu können. Als ich die Sprache schon recht gut beherrschte, las ich die Übersetzungen meiner Gedichte und war schockiert! Diese Texte waren ganz anders als die, die ich geschrieben hatte. Der Übersetzer hatte den Ton meiner Gedichte verändert, sie “poetischer“ klingen lassen. Daher entschied ich mich, meine Gedichte selbst ins Englische zu übersetzen.

Sie beschlossen also, ihre Arbeiten in eine Sprache zu übersetzen, die Sie sich angeeignet hatten, um sicherzugehen, dass der Originalton- und Stil berücksichtigt werden, kurz gesagt, Sie wollten sicher sein, dass Ihre Gedichte Ihre eigenen bleiben. Wo haben Sie so gut Englisch gelernt?

Ich habe Englisch in der Schule gelernt. In der Sowjetrepublik Armenien gab es neben den herkömmlichen Schulen einige Einrichtungen, in denen verstärkt Fremdsprachen unterrichtet wurden (Englisch, Französisch oder Deutsch), und unsere Schule war eine davon. Wir begannen bereits in der ersten Klasse, wir hatten einen sehr guten Lehrer, Herrn Ganonjian, der aus Kanada nach Armenien zurückgekehrt war, ihm verdanke ich meine guten Englischkenntnisse.

Gut, eine Sache ist es, sich das notwendige Rüstzeug anzueignen und zu beschließen, sein eigener Übersetzer zu werden, eine andere hingegen, seine eigenen Werke genauso originalgetreu zu übertragen, wie man es von einem Übersetzer theoretisch verlangt. Joseph Brodsky – im Exil in den Vereinigten Staaten – übersetzte seine eigene Lyrik ins Englische, er meinte, sich selbst zu übersetzen helfe ihm, Schwächen im Originaltext wahrzunehmen. Wie schwierig ist es, dem Impuls zu widerstehen, den Text umzuschreiben oder zumindest zu verändern? Wenn wir die englische Übersetzung mit dem armenischen Original vergleichen, würden wir dann zwei grundlegend verschiedene Gedichte entdecken? Oder anders gesagt – kann ein Dichter (noch dazu mit einem kritischen Blick, den wir ja alle haben) in der einen Sprache wiedergeben, was er in der anderen geschaffen hat?

Ich glaube nicht, dass Lyrik unübersetzbar ist. Wäre dies der Fall, dann könnten wir beispielsweise die Gedichte aus dem Alten Ägypten, die aus den Hieroglyphen einer toten Sprache entziffert wurden, nicht lesen und uns an ihnen erfreuen. Es gibt etwas in der Poesie, das über die Sprache hinausgeht, allerdings entsteht die Lyrik immer aus dieser heraus. Wenn ich meine Gedichte ins Englische übersetze, schreibe ich sie aufs Neue, in einer anderen Sprache. Mein Gedicht auf Armenisch und dasselbe Gedicht auf Englisch können nicht absolut ein und dasselbe sein, aber stammt die Übersetzung von mir, so sind beide mein Werk.
Ich verwende in meinen Gedichten sehr einfache Wörter, welche die Dinge und Handlungen lediglich bezeichnen, es ist meistens sehr leicht, das entsprechende Wort auf Englisch zu finden. Schwierigkeiten treten erst dann auf, wenn im Originaltext Wörter auf eine “schräge“, ungewöhnliche Art und Weise verwendet werden. Ich mache das oft im Armenischen, um Wörter aufzufrischen, mit ihnen zu spielen, sie anders aussehen zu lassen. Aber wenn ich die Gedichte ins Englische übersetze, ist es sehr schwierig, etwas Entsprechendes zu finden, es so zu formulieren, dass ein englischsprachiger Leser es nicht für einen Irrtum, für fehlerhafte Sprache hält. Lassen Sie mich dies am Beispiel der ersten Zeilen meines Gedichtes „Stove“ [Ofen] verdeutlichen:

this empty room –

i did like it

and make it mine –

only when the weather is snowy

i turn on the stove

…..

Würde ich die vierte Zeile wortwörtlich übersetzen, ergäbe dies:

only when the weather is snow

Das klingt natürlich merkwürdig. Auch auf Armenisch. Wie ich schon sagte, manchmal verwende ich Wörter in solch ungewöhnlicher Weise, einfach um mit ihnen zu spielen. Aber meistens wage ich es nicht, dasselbe auf Englisch zu tun. Ich glaube nämlich, dass die englischsprachigen Leser dies für einen Fehler halten könnten.

Mit Ihren freien Versen und kristallklaren Bildern alltäglicher oder etwas skurriler Gegebenheiten erinnern die englischen Übersetzungen Ihrer Gedichte ein wenig an den Imagismus und seine Dichter, an Ezra Pound und andere englischsprachige Lyriker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Empfinden Sie eine bewusste Sympathie für diese Bewegung? Veranlasst Sie Ihre Arbeit in der englischen Sprache zu einer gewissen sprachlichen Ökonomie? Beim Lesen Ihres Gedichtes „Pears“ [Birnen] zum Beispiel, ist man versucht, eine Anspielung auf William Carlos Williams und seine berühmten Pflaumen herauszuhören, die in dem Gedicht „This is Just to Say“ [Nur damit du Bescheid weißt] verschlungen werden?

Beim Schreiben meines Gedichtes „Pears“ und dessen Übersetzung dachte ich nicht an William Carlos Williams, auch wenn es gut möglich ist, dass die Erinnerung an seine Pflaumen irgendwo in meinem Gedächtnis verblieben ist, seit ich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal seine Gedichte entdeckte. Momentan weist meine Poesie tatsächlich eine gewisse Nähe zu Williams und den Imagisten im Allgemeinen auf. Aber es gibt auch wesentliche Unterschiede. In „This is Just to Say“ werden die Pflaumen im Kontext einer realen menschlichen Beziehung dargestellt. Während in meinem Gedicht „Pears“ (und auch in anderen hier veröffentlichten Gedichten) der Kontext ein surrealistischer ist. Eine Art existenzieller Surrealismus.

From the photo story "The Ghost House" by Anahit Hayrapetyan