WARTEN AUF EIN GEDICHT
Du liegst und wartest auf ein Gedicht. du regst dich nicht.
wie ein niederträchtiger und mit Klebstoff überzogener
Ast, der auf einen Vogel wartet.
meist auf ein Rotkehlchen oder auf einen Stieglitz.
du lauerst, feierlich in deinem Schweigen, leise
wie ein Rotkehlchen oder ein Stieglitz,
der nie gekommen ist.
unter dem Bettlaken, das feucht von Schweiß und Atem, heiß vom Körper ist,
unter seiner Haut wartest du scheinbar auf eine tief hängende Wolke.
du kratzt dich. du drehst die Daumen, blinzelst, manchmal
regelmäßig, manchmal nicht, aber du bist still.
draußen beißt der Winter. das Blut gefriert,
die Haut spannt über den Rücken, der Wind schlägt und die Äste
des Wallnussbaums schrappen Bachstürze im Nebel des Fensters.
das ist alles, was du hörst und was du siehst. du weißt, dass sie
zwischen dir und der Fensterwelt sind, dass nichts auf dir
landen kann. und dennoch liegst du da und wartest auf das Gedicht.
du wartest darauf.
ABRECHNUNG (GOTT UND DIE KASSIERERIN)
Die Welt ist ein Buchhalter mit einem Kamm
in der Hemdtasche, ein goldener Ring, ein Kettenglied
das fehlt, ein Kettenglied
das in das Fleisch des Fingers schneidet, in die Achse des Schweins-
der Buchhalter, diese Welt, mit all ihren Ohren
mit einem hilflosen Brennesselschampoo, einem ganz
überflüssigen.
die Liebe, eine dunkle Kassiererin.
und dann der Ausflug, Urlaub im Winter an der Theiß, Schlittschuh fahren
auf dem vereisten See, in verrückten Achten
wie das Zeichen für die Unendlichkeit, im Traum
im Traum über die Schweine endet sie mit dem endgültigen Fall.
die Kassiererin isst Hörnchen, Käse und Milchbrötchen, allein:
die Kassiererin unter dem Himmel. zwischen ihren Zähnen bleiben
Krümel zurück. in ihren Ohren echot das Klirren der Schlittschuhe.
und in der Streichholzschachtel, grässlich und leer, ein Tresor für die Toten,
Gott: Gott ist ein Geldautomat.
H.C. ANDERSEN BOULEVARD 50, KLASSISCH
Den ganzen Tag lang habe ich über die Birne nachgedacht.
ich wachte auf und spürte, wie sie, so reif, sich weitet
und sich bis zum eigenen Knochenmark und zu den eigenen Kernen zusammenzieht
wie ein riesengroßes Herz der Welt.
mittags, wenn die Sonne wirklich an ihrem Platz ist,
stellte ich mir vor, wie Braun und Grün anstelle von Gelb
Liebe auf meinen Hinterkopf ergießen, in jenes Loch, das Gott
dort hingebohrt hat.
ich dachte zur gleichen Zeit über die Birne in deinem Mund nach
und ich weiß nicht, was mich mehr erfreut hat:
die Spur aus Spucke, die glänzend deine Zunge herabglitt
oder weil all das wegen der Birne geschah.
auch Trauer hat mich ergriffen, die Sehnsucht nach etwas, das dir gehört,
doch der Gedanke an die Birne vertrieb sie
und half mir so meine Würde zu wahren.
an Nachmittagen bin ich bisweilen geneigt neue Dinge zu tun,
ich versuchte also, durch Meditation die Birne aus meinen Gedanken zu vertreiben.
doch es gelang mir nicht, meinen Verstand zu reinigen:
in der Nähe tagte das Kroatische Parlament,
deshalb ist mir nur Unsinn eingefallen,
gefährlicher Unsinn, mit dem ich nichts anzufangen wusste.
am frühen Abend war ich schon müde vom vielen Denken
aber als ich die Augen schloss, sah ich wieder die Birne, wie sie – so frisch –
im Fensterausschnitt schaukelt.
ich bekam eine Gänsehaut und stand auf, denn alle schwebenden Dinge sind schrecklich,
ich schloss das Fenster und zog die Gardinen zu, legte mich hin,
doch nicht einmal dann verschwand die Birne.
nach all dem, bereits tief in der Nacht, mit der Hand an der Stirn
schien es mir, dass alle Bilder der Welt in ein einziges Bild passen:
die Birne, die riesige, saftige Birne auf ihrem Rachezug, und die Berge,
knotige gelbe Berge: meine Zähne ihr Horizont.